Über das Projekt
Trotz geographischer Nähe ist zwischen der deutschen und der polnischen Kommunikationsgemeinschaft nicht selten kommunikative Distanz erkennbar. Politische und wirtschaftliche Asymmetrien zwischen den beiden Nachbarländern – oft durch die Last der Geschichte potenziert – können in der öffentlichen Kommunikation zu Dimensionen werden, die Affekte auslösen und die mit emotionalem Erleben verbunden sind. Es kann zur Folge haben, dass beide Gemeinschaften – Partner im vereinten Europa – ein mangelhaftes bzw. verfälschtes Wissen voneinander haben.
Im Fokus des wissenschaftlichen Interesses des Projekts stehen folgende Fragen:
- Wie werden Affekte als Zeichen bzw. Zeichenkomplexe und affektive Praktiken in medialen Diskursen in Deutschland und Polen konstruiert?
- Auf welche Art und Weise (mit welchen Gestaltungsmitteln und durch welche Verfahren) formieren Affekte Diskurse (mit) und mit welchem Zweck affizieren sie Akteure?
- Wie werden affektive Weltbilder bzw. Sinnwelten kreiert, die dann verbreitet, reproduziert oder transformiert werden?
- Ändern sich im Laufe der Zeit – unter Einfluss von politischen und/oder ökonomischen Faktoren – emotionale Einstellungen in medialen Diskursen gegenüber demselben diskursiven Ereignis oder bleiben sie konstant?
- Können Affekte dazu beitragen, dass bestehende Ordnungen, Bedeutungen o. Ä. transformiert, mentale Grenzen (Stereotype) verwischt und bestimmte Prozesse dynamisiert werden?
Forschungsgegenstand:
Um Affekten in deutschen und polnischen medialen Diskursen nachzuforschen, gilt es bestimmte „agonale Zentren“ (Felder), in denen semantische Kämpfe ausgetragen werden, festzulegen. Im Hinblick auf bestimmte Umfelder wie Politik, Geschichte, Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur können folgende brisante, in manchen Fällen transnationale (gesamteuropäische) Medien- bzw. Diskursereignisse mit Affektpotenzial berücksichtigt werden: die Ratifizierung des EU-Reformvertrages (2007); die Aufnahme Polens in den Schengen-Raum (2007); Banken- und Finanzkrise (2008/09); der Nord-Stream-Konflikt (2011, 2012); der Konflikt um Flüchtlingsaufnahme und den Umgang mit Migrationsbewegungen (seit 2015); der Brexit (2016); der Konflikt um Kriegsentschädigungen (2017, 2018) u.a.
Methodische Vorgehensweise:
Dem geplanten Forschungsvorhaben liegt ein multimethodisches, inter- bzw. transdisziplinäres Herangehen zugrunde:
Im Rahmen einer weit gefassten kulturwissenschaftlichen Linguistik sollten verschiedene Forschungsansätze integriert werden: die Diskursforschung (Diskurslinguistik und Diskursanalyse), die Emotionsforschung und die Medien- bzw. Medialitätslinguistik.
Das Korpus:
Um eine adäquate Beschreibung und Analyse von Mitteln und Strategien zur Erzeugung von Affekten und zur emotionalen Positionierung von bestimmten Inhalten in massenmedialen Diskursen zu gewährleisten, sollte das Analysekorpus aus Medientexten bestehen, d. h. aus medial unterschiedlich realisierten, thematisch zusammengehörenden, fakten- und/oder meinungsbetonten und aus einem vorab definierten Zeitraum (2004-2019) stammenden Texten aus Zeitungen und Zeitschriften (Printmedien) und aus Online-Portalen, die unterschiedlichen Pressetextsorten zuzuordnen sind. Die neuesten, zunehmend durch das Internet geprägten diskursiven Ereignisse werden hinsichtlich ihrer affektiven Potenziale auch in Memes und Tweets analysiert
Die Relevanz des Projekts:
Die Ergebnisse der geplanten Studien könnten wichtige Impulse für die Vorbereitung einer bewussten, rational durchdachten, diskursiv realisierten „Politik der Affekte“ liefern. Diese könnte durch ein geschicktes diskursives Handeln im medialen Bereich zur Verringerung potentieller Spannungen und zur Vermeidung negativer Auswirkungen kommunikativer Aktivitäten effektiv beitragen.
Auf diese Weise sollen Forschungsimpulse für das Feld von Emotion und Politik einschließlich der Politischen Bildungsforschung gegeben werden; dies ist ein bedeutendes Forschungsdesiderat, insbesondere was den europäischen und den deutschsprachigen Raum angeht. Konkret-praktische Anwendungsbereiche ergeben sich in der Verwertung der Ergebnisse u.a. in der interkulturellen Pädagogik.
Die Ergebnisse des Projekts werden verschiedenen Interessierten (Diskurs-, Kommunikations-, Medien-, Politik- und EmotionsforscherInnen im deutschen und polnischen Wissensraum) in möglichst zugänglicher Form (auch als Downloads) auf der Website des Projekts zur Verfügung gestellt.